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Weltweit neue Operationstechnik am Haunerschen Kinderspital

6. Oktober 2021

Forschende des Dr. von Haunerschen Kinderspitals am LMU Klinikum um Prof. Dr. Oliver Muensterer haben eine neue Operationstechnik entwickelt. Sie hilft Kindern mit einem angeborenen Defekt der Speiseröhre. Der Eingriff ist im Vergleich zur gängigen OP-Technik schonender, weil ihnen dadurch eine Operation erspart werden kann.

muensterer Prof. Dr. Oliver Muensterer, international ausgewiesener Experte in der minimalinvasiven Korrektur der Ösophagusatresie (Bild: LMU Klinikum)

Die Speiseröhre ist, anatomisch gesehen, ein Hohlorgan, das vom Rachen in den Magen reicht. In der Embryonalentwicklung kommt es bei der Bildung dieses Hohlorgans zuweilen zu einem folgenschweren Defekt: Es wächst nicht zu einer einheitlichen, durchgängigen Röhre zusammen - die Speiseröhre ist damit unterbrochen. Sowohl vom Mund nach unten als auch vom Magen nach oben entstehen zwei „Blindsäcke“. Wird ein Baby mit dieser sogenannten Ösophagusatresie geboren, können weder Nahrung noch Speichel in den Magen gelangen – ein lebensbedrohliches Problem für etwa jährlich 200 Neugeborene in Deutschland.

„Diese Babys müssen meist in den ersten Lebenstagen operiert werden“, sagt Muensterer. Bis dahin werden sie über einen Venenkatheter oder über eine Magensonde künstlich ernährt. Die erste erfolgreiche Korrektur dieser Fehlbildung erfolgte 1940 in den USA. Dazu muss der Brustkorb geöffnet werden, um die Enden der beiden Blindsäcke zu eröffnen und zu einer durchgängigen Röhre zusammenzunähen. Seit etwa zwei Jahrzehnten wird dieser Eingriff auch über die Schlüsselloch-Chirurgie vorgenommen. Dabei führen die Ärzt*innen über winzige Schnitte im Brustkorb eine Mini-Kamera und Mini-Instrumente in den Brustkorb ein und operieren unter video-assistierter Kontrolle.

Doch die minimalinvasive Schlüssellochtechnik ist technisch so anspruchsvoll, dass nur wenige Kinderchirurgen in der Welt sie beherrschen.

Dadurch können nur wenige betroffene Babys von den Vorteilen dieser Technik profitieren. Gerade bei besonders komplizierten Fällen, wenn der Abstand der beiden Blindsäcke mehr als etwa fünf Zentimeter beträgt, ist die Behandlung schwierig. Denn die Enden müssen zunächst unter Spannung zusammengebracht und in einer zweiten OP verbunden werden. Die dabei auftretenden Zugkräfte können zu Narben und späteren Engstellen der Speiseröhre führen, die Folgeeingriffe erfordern. Das bedeutet wieder Belastung für die Babys und deren Eltern.

Magnete bringen den Durchbruch

Oliver Muensterer, ein international ausgewiesener Experte in der minimalinvasiven Korrektur der Ösophagusatresie, arbeitet deshalb an einem einfacheren und schonenderen Verfahren zur Behandlung der Kinder – zusammen mit seinem Team und der Forschergruppe von Prof. Michael Harrison an der University of California in San Francisco. Dieses Verfahren wurde ausgiebig in Tierversuchen erprobt, bevor die erste Anwendung am Menschen erfolgte.

Dabei werden die Enden der Blindsäcke, wie beschrieben, zunächst in Schlüssellochtechnik zusammengezogen und aneinandergenäht, ohne die Hohlräume zu eröffnen. Das Zusammennähen führt zu einem Wachstum der Blindsäcke, sodass die Spannung über die folgenden Wochen abnimmt. Zudem werden in einem kurzen, endoskopischen Eingriff durch den Mund und über die Magensonde speziell geformte Magnete in den oberen und unteren Blindsack eingebracht. Die mit einer Goldschicht versehenen Magneten mit einem Durchmesser von acht Millimetern sind geformt wie die Hälfte einer Schokolinse – eine Oberfläche ist flacher gekrümmt als die andere. Dadurch entsteht eine Hochdruckzone im Zentrum, die eine Verbindung zwischen den Blindsäcken schafft, während am Rand die Schleimhaut heilen kann.

magnete_roentgenbild Die beiden Magneten schaffen eine Verbindung zwischen den Blindsäcken, während am Rand die Schmeimhaut heilen kann. (Bild: LMU Klinikum)

„Durch ihre gekrümmte Form“, sagt Muensterer, „drücken die Magneten das zwischen ihnen liegende Gewebe innen zusammen und lösen es dort in ein bis zwei Wochen so auf, dass die gewünschte Verbindung entsteht.“ Außen aber lassen sie das Gewebe sachte und langsam zusammenwachsen, so dass die Entstehung von Narben und späteren Engstellen vermindert wird. Sobald sich die Verbindung ausgebildet hat, lösen sich die Magnete aus dem Gewebe und werden schließlich mit dem Stuhlgang ausgeschieden.

Bislang kam das neue Verfahren bei vier Babys zum Einsatz. “Nach sieben bis zehn Tagen”, erklärt Muensterer, „konnten die Kinder zum ersten Mal in ihrem Leben Speichel und Nahrung über ihre Speiseröhre schlucken.“ Ein bis zwei Wochen nach der Einführung der Magnete wurden die kleinen Patient*innen nach Hause entlassen. Zwar mussten auch mit der neuen Methode die Speiseröhren in einigen Fällen noch erweitert werden, aber deutlich weniger oft als bei der früheren Technik. Durch die endoskopische Platzierung der Magnete per Magen- und Speiseröhrenspiegelung erspart man den Babys eine komplizierte Operation. „Es ist in jedem Fall eine deutliche Verbesserung“, sagt der Münchner Chirurg am Dr. von Haunerschen Kinderspital. Die Ergebnisse sind kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift PEDIATRICS veröffentlicht worden.

Jetzt wollen die Forschenden das Verfahren etablieren und ein Unternehmen suchen, das die Magnete kommerziell herstellt und in größeren Studien testet. „Das wird eine Herausforderung“, sagt Muensterer. Denn weil die Fehlbildung so selten ist, lohnt sich eine Kommerzialisierung für Medizinproduktefirmen nicht. "Das“, so Muensterer, „ist ein Dilemma, mit dem wir in der Kinderchirurgie leider oft konfrontiert sind.“

Titel der Originalarbeit

Oliver J Muensterer, Lauren L Evans, Alexander Sterlin, Mohammad Sahlabadi, Vamsi Arbindi, Andreas Lindner, Tatjana König, Michael R Harrison.
Novel device for endoluminal esophageal atresia repair: First-in-human experience
Pediatrics 2021; doi: 10.1542/peds.2020-049627

Ansprechpartner

Prof. Dr. Oliver Muensterer
Direktor der Kinderchirurgischen Klinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital
+49 89 4400 53101
oliver.muensterer(at)med.uni-muenchen.de

Quelle: LMU Klinikum