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An der LMU sorgt das Institut für Allgemeinmedizin für adäquate Einbindung des Faches in Forschung und Lehre

17. Oktober 2017

Der Hausarzt hat den Überblick und kann aufgrund seines Wissens und seiner Erfahrung entscheiden, welche Behandlung angezeigt ist und welche Maßnahmen erforderlich sind. Die universitäre Ausbildung im Bereich Allgemeinmedizin ist daher besonders gefragt.

lmu_hörsaal Hörsaal der Ludwig-Maximilians-Universität München

Nicht wenige Menschen bekommen Panik, wenn sie Brustschmerzen haben: Ich habe einen Herzinfarkt! Ich muss unbedingt zum Kardiologen! Am besten gleich in die Notaufnahme! „Wenn ein Patient in so einem Fall erst zu seinem Hausarzt geht, kann oft schnell Entwarnung gegeben werden“, weiß Professor Jochen Gensichen, denn „in nur einem Prozent der Fälle beim Hausarzt haben Brustschmerzen kardiovaskuläre Ursachen.“ Viel häufiger seien orthopädische oder gar psychische Probleme Grund für die Beschwerden. Gensichen, seit Oktober vergangenen Jahres Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeinmedizin an der Medizinischen Fakultät der LMU, empfiehlt, wenn möglich, immer zuerst einen Allgemeinmediziner zu konsultieren. Diese können besonders gut unsortierte Symptome deuten und Empfehlungen geben; der Hausarzt leiste die wichtige „Zusammenschau“ von Patientengeschichte, Diagnose und Medikation. Er könne priorisieren, welche Krankheit zuerst behandelt werden muss. Denn in Zeiten des demografischen Wandels und des damit verbundenen Anstiegs der Zahl alter Menschen nähme die sogenannte Multimorbidität zu – also das gleichzeitige Vorhandensein verschiedener und zum Teil chronischer Erkrankungen bei einer Person. Für eine adäquate und vor allem sichere Behandlung von Patienten ist der Hausarzt von entscheidender Bedeutung: „Leitlinien, etwa zur Medikation, sind meist auf die jeweiligen medizinischen Spezialgebiete hin ausgerichtet“, erklärt Professor Gensichen. Aber was sei mit den Wechselwirkungen bei Mehrfacherkrankungen? Die müsse man im Blick behalten, weil sie gefährlich, lebensgefährlich werden könnten.

Allgemeinmediziner sind wichtige Lotsen im Dschungel des medizinischen Fächerportfolios. Und sie werden immer wichtiger, je mehr sich die Medizin ausdifferenziert und spezialisiert und je älter sowie kränker die Gesellschaft wird. Aber sie fehlen, vor allem in ländlichen Regionen, in denen es gerade für viele junge Ärzte unattraktiv ist, in einer Praxis zu arbeiten oder gar eine eigene aufzubauen: Hohe Kosten, viel betriebswirtschaftlicher Aufwand, wenig Planbarkeit im Hinblick auf Familie und Privatleben – das alles sind Faktoren, die viele abschrecken. Jochen Gensichen hält die Struktur von exzellenten Spezialzentren in den Städten und der peripheren ländlichen Versorgung dennoch für ein sehr tragfähiges Modell. „Denkbar sind neue Formen der Versorgung in ländlichen Regionen, wie etwa Modelle zur Telemedizin oder Praxisgemeinschaften, in denen Vertretungen gewährleistet sind und Teilzeitmodelle realisiert werden können. Möglicherweise müssen Patienten eine längere Anfahrt in Kauf nehmen. Aber das kann man regeln.“

„Natürlich war die Allgemeinmedizin schon immer ein Bestandteil der Medizinerausbildung an der LMU, jedoch hatte sie eine andere curriculare Gewichtung“, erläutert Professor Martin Fischer. Da hätten niedergelassene Hausärzte zum Beispiel einige Stunden Lehre gehalten, es gab Praktika, bei denen ein Ausbildungserfolg jedoch keinesfalls gesichert war. „Aber die Liegezeiten in den Kliniken haben sich verkürzt, die ambulante Versorgung und ihre gewachsenen Anforderungen sind dagegen viel mehr in den Vordergrund gerückt.“ Unter diesen Umständen sei wichtig, betont Martin Fischer, dass der Fokus verstärkt auf die Primärversorgung gelegt werde und dass Studierende sich nicht nur mit Fällen auseinandersetzten, die bereits durch andere Fachdisziplinen vordiagnostiziert worden sind.

Forschung und Weiterbildung

Diese neue Qualität in der Lehre muss natürlich auch institutionell verankert sein. Und vor allem muss der Forschung ein entsprechender Rahmen gegeben werden. Beides wurde mit der Etablierung des Instituts für Allgemeinmedizin an der LMU durch Professor Jörg Schelling im Jahr 2014 sichergestellt. Dass Schelling, der mittlerweile Honorarprofessor am Institut ist und hauptberuflich eine hausärztliche Gemeinschaftspraxis in Martinsried leitet, den Lehrstuhl aufgebaut habe, sei ein großes Glück gewesen, betont sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl, Professor Jochen Gensichen. Denn Schelling habe unter anderem den Bereich Gesundheitsförderung mit dem Schwerpunkt Impfen als eines von drei Forschungsthemen am Institut aufgebaut.

Weitere Schwerpunkte sind die klinische Versorgungsforschung, insbesondere mit dem Fokus auf Mehrfacherkrankungen in der geriatrischen Versorgung, sowie als dritten und Professor Gensichens Schwerpunkt das Thema „Seelische Gesundheit in der Primärversorgung“. „Wir untersuchen hier sogenannte Common mental disorders, wie Depression oder Angst in Zusammenhang mit weiteren Krankheiten. Psychische Erkrankungen können ganze Therapieregime verändern“, weiß Gensichen. Es gelte dann etwa abzuwägen, welche Krankheit zuerst behandelt werden muss. „Es kann sinnvoll sein, bei Patienten mit Diabetes, Depression und COPD, also chronischer Lungeninsuffizienz, zuerst die Depression zu behandeln, weil die Therapieansätze für die weiteren Krankheiten dann hinsichtlich einer Medikation erfolgversprechender sein können.“

Das Bewusstsein für die Bedeutung des Faches innerhalb der Medizin ist auf jeden Fall gewachsen. Das war nicht immer so. Da lief die allgemeinmedizinische Ausbildung „eben so mit“. „Früher konnte sich jeder, der ein Medizinstudium abgeschlossen hatte, als Praktischer Arzt niederlassen“, sagt Jochen Gensichen, „und das, ohne die Zusammenschau der verschiedenen Implikationen und die An- und Herausforderungen des Faches Allgemeinmedizin wirklich zu kennen. Wir sind deswegen sehr froh, dass es nur noch nach adäquater Aus- oder Weiterbildung möglich ist, als Hausarzt tätig zu werden.“

Stiftung Allegemeinmedizin

Professor Jochen Gensichen ist Begründer der bürgerlichen „Stiftung Allgemeinmedizin“. Sie wurde 2013 ins Leben gerufen, um auf die Schlüsselposition der Allgemeinmedizin innerhalb der ärztlichen Versorgung aufmerksam zu machen. Überdies möchte sie die Rolle der Hausarztpraxis als verlässlicher Erstversorger weiterentwickeln und stärken. Dies erreicht die Stiftung unter anderem durch die Förderung von allgemeinmedizinischer Aus-, Weiter- und Fortbildung sowie der Forschung, durch die Verbreitung ihrer Ergebnisse in medizinischen Fachkreisen sowie der Öffentlichkeit. Sie fördert darüber hinaus den wissenschaftlichen Nachwuchs und die nationale und internationale Vernetzung allgemeinmedizinischer Aktivitäten.

Quelle: MUM (Text und Bildnachweis)