Medizinische Fakultät
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Selten und doch so häufig

Seltene Erkrankungen sind ein Forschungs schwerpunkt im Dr. von Haunerschen Kinderspital. Der Klinik direktor selbst leitet eine wissenschaft liche Arbeitsgruppe, die hart näckig und geduldig immer wieder auf die Schliche neuer Krankheiten kommt – und Pionierarbeit in der Gentherapie leistet.

Die Zahlen überraschen sehr: „Jeder dritte bis vierte Patient am Dr. von Haunerschen Kinderspital hat eine seltene Erkrankung – und ist damit ein Waise der Medizin“, sagt Prof. Christoph Klein. Allein in Deutschland leiden etwa vier Millionen Menschen an den geschätzten 7.000 seltenen Erkrankungen. Als selten definiert die Europäische Union eine Erkrankung dann, wenn sie weniger als fünf von 10.000 Menschen betrifft. Meist handelt es sich um erblich bedingte Krankheiten“, erklärt der Direktor des Haunerschen. Bedingt durch Mutationen in diesem oder jenen Gen kommt es zu Fehlfunktionen von Proteinen.

nicht alle dieser Krankheiten verlaufen dramatisch, viele allerdings schon, mit gravierenden Symptomen, oft tödlich für die Patienten. Für die meisten seltenen Erkrankungen gibt es bislang keine spezifischen Therapien. Schlimmer noch: Oft laufen Eltern mit ihren betroffenen Kindern jahrelang von Arzt zu Arzt, bis endlich die richtige Diagnose gestellt wird. Patienten mit seltenen Erkrankungen bedürfen einer umfassenden Versorgung von Spezialisten oft verschiedener medizinischer Fachbereiche – wie am Haunerschen Kinderspital, einem Referenzzentrum für seltene Erkrankungen und deren Erforschung.

Weltweite Kooperationen sind in der Forschung, der Diagnose und der Therapie zwingend.

Die Forschung ist ganz wichtig. Für gewöhnlich beginnt sie mit den Patienten, die sich im Hauner mit ihren Symptomen vorstellen. Oder mit Patienten, deren Symptomatik den Münchner Forschern über ein weltweit agierendes netzwerk geschildert werden. Hintergrund: Von vielen der 7.000 seltenen Erkrankungen gibt es global nur wenige – Dutzende, Hunderte, maximal Tausende – Patienten. Insofern sind weltweite Kooperationen in der Forschung und der Diagnose und Therapie zwingend. Die Patienten werden untersucht, auch ihr Blut und dessen Zellen, mit zahlreichen Analysen. notfalls entschlüsseln die Wissenschaftler die „Sequenz“ aller 22.000 Gene der Patienten, um Mutationen im Erbgut auf die Schliche zu kommen. Dann lassen sich die Patienten entweder einer bekannten seltenen Erkrankung zuordnen. Oder eben nicht. Denn nur bei etwa 30 Prozent dieser seltenen Erkrankungen lässt sich heute ein solcher Webfehler nachweisen. „Hinzu kommt“, so Klein, „dass wir bei den meisten Genen des Menschen immer noch nicht verstehen, welche Rolle ihnen für die Entwicklung und Funktion der verschiedenen Organe zukommt.“ Das herauszufinden, koste meist Jahre intensiver Arbeit.

Ergebnisse aus der Erforschung seltener Erkrankungen „bringen Erkenntnisse auch für viel häufigere Krankheiten“, sagt Prof. Christoph Klein und bringt ein Beispiel.

Sein Team hat genetische Webfehler im sogenannten Hippo-Signalweg bei Kindern mit einer seltenen Erkrankung des Immunsystems untersucht. Dieser Signalweg spielt auch bei Krebserkrankungen eine wichtige Rolle. Aus der Erforschung seltener Erkrankungen resultieren oft neue Ideen für die Entwicklung von neuen Medikamenten gegen Krebserkrankungen: Die Proteine BTK, JAK3, PI3Kdelta oder CTLA4 sind gute Beispiele. Diese Proteine wurden zuerst bei seltenen Erkrankungen erforscht – und dienen jetzt auch als Zielstruktur für passgenaue Medikamente, die unter anderem das übermäßige Wachstum von Krebszellen hemmen. „Auf dieser Basis“, erklärt Klein, „werden derzeit viele weitere neue Medikamente entwickelt.“

Bis neue Therapien in Sicht sind, kann sich die Erforschung einer seltenen Erkrankung zum Marathon ausweiten: Vor fünf Jahren hat Christoph Klein die Mutation gefunden, die eine schwere kongenitale Neutropenie verursacht. Aber bis heute „haben wir noch immer nicht vollständig verstanden, warum diese Kinder krank werden“, sagt der Direktor des Haunerschen Kinderspitals. Das Beispiel belegt auch, welche Rückschläge ein Forscher immer wieder hinnehmen muss, wie geduldig und hartnäckig sie ihr Geschäft verfolgen müssen. Immerhin ist jetzt aber klar: Die Mutationen im Jagunal-1-Gen führen dazu, dass bestimmte Fresszellen im Blut, die neutrophilen Granulozyten, weder in ausreichender Zahl ausreifen noch richtig funktionieren können, wie die Münchner Forscher kürzlich gemeinsam mit Wiener Kollegen herausfanden.

Viele Patienten mit einer anderen Form der angeborenen Neutropenie werden erfolgreich mit dem Medikament G-CSF behandelt, nicht aber die Kinder mit Jagunal-1-Mutationen. Der Grund: eine Fehlfunktion im entsprechenden Rezeptor auf den Immunzellen. An diese molekulare Antenne bindet das Medikament. In Tierversuchen haben die Forscher nun erstmals festgestellt, dass ein anderes Medikament, GM-CSF, wirksam ist. Aber ein erster Test mit einem Kind mit Jagunal-1-Mutation „hat leider noch nicht den erhofften durchschlagenden Erfolg gebracht“, sagt Klein, der aber in dieser Sache dranbleiben will: „Wir werden das weiter erforschen.“

Quelle: Jahresbericht 2014 (Text und Bildnachweis)