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Zu viel frühes Protein - zu viel späteres Fett

Die ersten 1.000 Tage des menschlichen Lebens von der Empfängnis an beeinflussen massiv das Programm für das spätere Wohlbefinden und die langfristige Gesundheit. Wissenschaftler des Dr. von Haunerschen Kinderspitals erforschen die Zusammenhänge.

Übergewicht und Fettleibigkeit sind Massenphänomene – leider auch unter jungen Menschen. In Deutschland ist bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 20 Jahren etwa jeder sechste übergewichtig, rund jeder zwanzigste leidet unter krankhafter Fettleibigkeit (Adipositas). Mit steigendem Gewicht erhöhen sich die Risiken für Folgekrankheiten wie Diabetes, Krebs und Herz-Kreislauf-Leiden. Studien der vergangenen Jahre zeigen inzwischen sehr eindrucksvoll, „dass die Ernährung in der Schwangerschaft und im frühen Kindesalter das spätere Risiko für Adipositas und Diabetes beeinflusst“, sagt Prof. Berthold Koletzko vom Dr. von Haunerschen Kinderspital. Der Leiter der dortigen Abteilung Stoffwechselund Ernährungsmedizin koordiniert das Forschungsprogramm „Early Nutrition“ mit Förderung durch die Europäische Union. Dabei untersuchen Forscher aus Europa, den USA und Australien, wie Ernährung in Schwangerschaft und früher Kindheit, frühes Wachstum und die langfristige Gesundheit zusammenhängen. Koletzkos

Koletzkos Team wird innerhalb des Projekts mit 2,8 Millionen Euro gefördert und bearbeitet das Thema seit rund zwei Jahrzehnten. Sein Team hat bahnbrechende Erkenntnisse gewonnen, die inzwischen sogar von Herstellern von Säuglingsnahrung in die Praxis umgesetzt werden. Seine inzwischen bewiesene Hypothese: „Eine zu hohe Eiweißzufuhr im Säuglingsalter erhöht das Risiko einer Adipositas schon im Alter von sechs Jahren um das Zweieinhalbbis Dreifache.“

"Kinder sind kleine Erwachsene"

Ganz am Anfang hatten die Münchner Forscher in einer großen Beobachtungsstudie in Bayern mit 9.000 Kindern ermittelt: „25 Prozent weniger Kinder werden im Schulalter fettleibig, wenn sie in den ersten Lebensmonaten gestillt werden – im Vergleich zu nicht gestillten Kindern. Muttermilch hat also einen schützenden Effekt.“ Aber warum? Gestillte Kinder erhalten mit der Muttermilch weniger Eiweiß, als es traditionell bei Flaschenfütterung gegeben wird. Begründet das die schützende Wirkung? Und nicht eine erhöhte Fettzufuhr, was vielleicht naheliegender gewesen wäre. „Aber in dieser frühen Phase der Programmierung sind die Weichen eben anders gestellt“, sagt Koletzko, „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen.“

Um Gewissheit zu bekommen, starteten sein Team und Ärzte aus vier weiteren europäischen Ländern die CHOP-Studie (European Childhood Obesity Project- Studie). Seit inzwischen mehr als einem Jahrzehnt analysierten die Forscher die Entwicklung von 1.678 Neugeborenen. Drei Gruppen wurden gebildet: Kinder, die länger als drei Monate lang gestillt wurden. Und Kinder, die schon kurz nach der Geburt mit der Flasche gefüttert wurden. Die einen erhielten seinerzeit übliche Flaschenmilch mit höherem Eiweißgehalt, die anderen speziell hergestellte Milch mit niedrigerem Proteingehalt. In regelmäßigen Abständen vermaßen die Forscher die kleinen Probanden – Größe, Gewicht und weitere Parameter.

Durch die Studie zeigten sich bereits im Alter von sechs Monaten erste Unterschiede in der Gewichtsentwicklung.

Die Ergebnisse: Bereits im Alter von sechs Monaten zeigten sich erste Unterschiede in der Gewichtsentwicklung zwischen den Gruppen mit unterschiedlicher Flaschennahrung. Ein hoher Proteingehalt in Babymilch führte dazu, dass die Kinder in den ersten beiden Lebensjahren deutlich mehr Gewicht zulegten als die Mädchen und Jungen, die Flaschennahrung mit weniger Eiweiß bekamen. Noch deutlicher waren die Unterschiede im frühen Schulalter mit sechs Jahren. Die 2014 veröffentliche Auswertung ergab: Kinder, die in ihren ersten beiden Jahren viel Protein bekamen, hatten im frühen Schulalter ein fast dreifach erhöhtes Risiko für Übergewicht. Anders die jungen Probanden, deren Flaschennahrung weniger Eiweiß enthielt: Sie hatten einen normalen Body-Mass-Index, der sich nicht von den früher gestillten Kindern unterschied.

„Wir können also mit wenig Aufwand riesige präventive Effekte erzielen“, erklärt Koletzko. „Die Säuglingsernährung zu verbessern ist viel einfacher, als im späteren Alter liebgewordene Gewohnheiten im Ernährungs- und Bewegungsverhalten zu verändern. Und wir können es Menschen viel leichter machen, wenn wir sie gar nicht erst in die Risikozone für Übergewicht katapultieren.“ Das hat offenbar auch die Industrie aufgrund der Ergebnisse begriffen. „Weltweit verändern Hersteller von Babynahrung bereits die Zusammensetzung ihrer Produkte hin zu weniger Proteingehalt“, erklärt Berthold Koletzko – und gleichen sie damit dem Vorbild der Muttermilch ein Stück weit näher an. „Und das“, sagt der Kinderarzt, „ist überaus erfreulich.“

Quelle: Jahresbericht 2014 (Text und Bildnachweis)