Medizinische Fakultät
print

Links und Funktionen
Sprachumschaltung

Navigationspfad


Inhaltsbereich

Schlafkrankheit

„Es ist ein Mechanismus, den man getrost als altruistisch bezeichnen darf“, sagt Prof. Michael Boshart über das, was die vergleichsweise trickreichen einzelligen Trypanosomen veranstalten, wenn sie denMenschen infizieren. „Einige opfern sich für die anderen auf, damit die Infektion letztlich Erfolg hat“, sagt der Arzt und Molekularbiologe vom Biozentrum der LMU. Zusammen mit einem belgischen Kollegen ist Boshart dem erstaunlichen Phänomen „absolut zufällig“ auf die Spur gekommen.

Seit zwei Jahrzehnten erforscht der Wissenschaftler jene Trypanosomen, die die tödliche Schlafkrankheit auslösen. Im tropischen Afrika verbreitet, gibt es für das Leiden bislang keine Impfung und nur wenige Medikamente mit schweren Nebenwirkungen. Die Trypanosomen sind nachgerade berüchtigt dafür, dass sie der Körperabwehr immer einen Schritt voraus sind und die molekularen Erkennungsmerkmale für das Immunsystem ständig sehr flexibel variieren.

„Wir haben den Mechanismus erstmals bei einem Einzeller mit Zellkern entdeckt“

Die Reise der Parasiten in den Körper beginnt, wenn die blutsaugenden Tsetse-Fliegen zustechen und ihre gefährliche Fracht ins Blut entlassen. Bis das Immunsystem erste gezielte Abwehrstoffe (Antikörper) gegen die Eindringlinge produziert, dauert es ein paar Tage. Zuvor greift allerdings schon die erste Abwehrlinie des Körpers, das unspezifische angeborene Immunsystem, mit seinen Botenstoffen und Fresszellen vor allem in der Leber an und eliminiert einen Teil der Trypanosomen – das Kanonenfutter. Denn die sterbenden Einzeller laufen förmlich aus und setzen ein Enzym frei, das auf ihrer Oberfläche hockt. Diese „Adenylatcyclase“ wird durch die Freisetzung angeschaltet und sorgt für die Herstellung des Botenstoffes cAMP, der den angreifenden Immunzellen befiehlt: Attacke stoppen!

trypanosom Trypanosom-Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme
(Prof. Dr. Gerhard Wanner, Biozentrum der LMU)

„Das passiert auch tatsächlich“, staunt Boshart. Und zwar so: cAMP schaltet in den Fresszellen das Signalprotein Proteinkinase A an, welches die Aktivierung des Immun- Botenstoffs TNF-Alpha durch Eindringlinge unterdrückt. Ohne TNF-Alpha versiegt die Gegenwehr des Immunsystems: freie Bahn für die verbleibenden Parasiten. Die Infektion läuft. „Solche altruistischen Akte sind kürzlich auch unter Bakterien beschrieben worden“, erklärt der Forscher, „wir haben den Mechanismus erstmals bei einem Einzeller mit Zellkern entdeckt.“ Den Beweis erbrachten die Forscher, als sie Trypansomomen genetisch so veränderten, dass sie weniger Adenylatcyclasen herstellen. Diese Trypanosomen verloren ihre Infektiösität. Dass die Oberfläche der Einzeller mit Adenylatcyclasen übersät ist, wussten die Wissenschaftler schon lange, rätselten aber ob deren Funktion.

Trotzdem interessiert sich Bosharts Team nun mehr für die cAMP Signalübermittlung innerhalb der Parasiten. Sie zu blockieren, verspricht womöglich mittel- bis langfristig einen neuen therapeutischen Ansatz gegen die Schlafkrankheit, weil sie einen molekularen Signalweg betrifft, der sich bei Trypanosomen und Menschen fundamental unterscheidet. Es wäre eine Behandlung, auf die viele Menschen in Afrika warten.

Quelle: Jahresbericht 2012 (Text und Bildnachweis)

Literatur: Salmon D. et al (2012):
"Adenylate cyclases of Trypanosoma brucei inhibit the innate immune response of the host"
Science 337, 463-466