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Onkologische Studien

Prof. Dr. Wolfgang Hiddemann Professor Dr. Wolfgang Hiddemann
"Unsere Biobank ist ein Schatz"

Die Stärken der Krebsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität und am Klinikum der Universität München kennt Prof. Wolfgang Hiddemann sehr genau. „Seit Jahrzehnten koordinieren wir große Studien“, sagt der Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III am Campus Großhadern. Zunächst waren es nur Studien, in denen neue Therapien gegen Leukämien und Lymphome getestet wurden. Für diese vergleichsweise seltenen bösartigen Erkrankungen ist die Arbeitsgruppe an der LMU sogar bundesweites Diagnostik- und Referenzzentrum. Das heißt: Aus allen Landesteilen schicken Ärzte Proben erkrankter Menschen zur Analyse. Inzwischen koordinieren die Münchner Mediziner aber auch klinische Studien, die die Behandlung des Dickdarm- und Bauchspeicheldrüsenkrebses optimieren sollen – mit innovativen Behandlungskonzepten und Medikamenten. Das Dickdarm-Karzinom zählt mit knapp 69.000 Neuerkrankungen in 2010 zu den häufigsten Tumoren überhaupt. Dem Pankreaskarzinom mit fast 13.000 Neuerkrankungen in 2010 ist trotz erheblicher Anstrengungen bislang kaum beizukommen – deshalb besteht großer Forschungsbedarf. Es sind diese vier Tumorentitäten, wie es im Fachjargon heißt, denen die LMU-Mediziner ihre Ideen und Energie künftig auch im Deutschen Konsortium für translationale Krebsforschung widmen. Das Ziel: neue Therapien schneller aus der Grundlagenforschung in die Behandlung bringen.

Im Zuge der großen klinischen Studienerfahrungen werden seit langer Zeit am Klinikum der Universität München Patienten einheitlich behandelt. Gleichzeitig entnehmen die Wissenschaftler vor der Behandlung Gewebeproben aus den Tumoren der Patienten und analysieren sie genetisch – auf der Suche nach Biomarkern im Erbgut der Krebszellen. Idealerweise können diese spezifischen genetischen Veränderungen Auskunft geben über den wahrscheinlichen Krankheitsverlauf eines Patienten. „Diese Biobank ist ein Schatz, über den kaum jemand sonst in dieser Form verfügt“, erklärt Prof. Hiddemann. Zwar mehren sich weitweit die Studien über Biomarker bei Krebserkrankungen, doch beruhen sie nur selten auf einheitlich therapierten Patientenkollektiven. Gerade das aber ermöglicht erst eine praxisrelevante Aussage über den Wert eines Biomarkers.

"In einigen Jahren können wir viele Subgruppen des Dickdarmkarzinoms unterscheiden"

Diese Expertise speisen die medizinische Fakultät der LMU und das Klinikum in das Deutsche Konsortium für translationale Krebsforschung ein und gehen dabei auch neue Wege. Normalerweise entwickeln Biomediziner zunächst in Zell- und Tierversuchen einen Ansatz, den sie, falls vielversprechend, dann am Menschen testen. Derlei Modelle aber können die Realität der menschlichen Erkrankung nur ansatzweise widerspiegeln – und scheitern häufig. Wer aber eine Biobank wie die Münchner Wissenschaftler besitzt, kann auch den klinischen Verlauf einer Erkrankung unter der Therapie genau verfolgen und die klinische Beobachtung zurück ins Labor bringen, um den realen Verlauf anhand der Gewebeproben molekular zu beleuchten. Die resultierenden Krankheitsmodelle und therapeutischen Ansätze werden so viel genauer.

Beispiel: Manche Patienten sprechen auf eine bestimmte Chemotherapie an, andere nicht; manche entwickeln Metastasen in bestimmten Organen und sterben relativ rasch, bei anderen wächst der Tumor wesentlich weniger aggressiv. Die Frage: Warum diese gravierenden Unterschiede? Beim Dickdarmkrebs haben die Pathologen der LMU unter Leitung von Prof. Thomas Kirchner Proben aus der Biobank auf bestimmte molekulare Signalübertragungswege in und zwischen den Krebszellen analysiert, die gestört sind, und so das Tumorwachstum verursachen. Offenbar entscheiden Mutationen im so genannten p16-Signalweg – benannt nach dem Tumorsuppressor-Gen p16 – über das Schicksal der Patienten, deren Tumoren sich ansonsten kaum unterscheiden. In Versuchen mit Mäusen wollen die Forscher nun herausfinden, wie p16 die Bildung von Metastasen beeinflusst und wo man am besten mit neuen Medikamenten die Prozesse unterbinden könnte.

Ein weiteres Beispiel aus der Erforschung des Dickdarmkrebses: Sofern in den Tumorzellen das Onkogen KRAS nicht verändert ist, sprechen sie auf ein neues Medikament an – das entsprechend nur in diesen Fällen von den Krankenkassen bezahlt wird. Es ist ein absolutes Novum, dass die Erstattung durch die Kassen von der molekularen Analytik abhängt. „Das zeigt, dass wir die Biomarker tatsächlich in der Klinik anwenden können“, sagt Prof. Hiddemann, der erwartet, „dass wir in einigen Jahren viele Subgruppen des Dickdarmkarzinoms unterscheiden können.“ Jetzt haben die Münchner Wissenschaftler beispielsweise unterschiedliche Mutationen in Schlüsselgenen der Signalübertragung identifiziert, die mit einer Metastasierung in die Leber verbunden sind.

Eines Tages wird die Krebsdiagnose gar nicht mehr auf ein Organ bezogen sein, sondern auf gestörte Signalwege in den Krebszellen.

Bei der akuten myeloischen Leukämie sieht es ähnlich aus. Mittels genetischer Biomarker lassen sich bis dato drei Patientengruppen unterscheiden. 20 bis 30 Prozent der Erkrankten sprechen auf die Chemotherapie sehr gut an und haben eine günstige Langzeitprognose. Bei 20 bis 25 Prozent der Patienten bringt die Chemotherapie nichts, sie können sich aber einer Knochenmark-Transplantation unterziehen. Es bleibt eine intermediäre Gruppe, für die die Forscher nun mit neuen Biomarkern eine genauere Risikoabschätzung etablieren wollen, um den Patienten sofort die bestmögliche Therapie zukommen zu lassen und ihnen unnötige Belastungen zu ersparen. Wahrscheinlich wird eines Tages die Krebsdiagnose gar nicht mehr auf ein Organ bezogen sein, sondern auf gestörte Signalwege in den Krebszellen. „Das würde ein völliges Umdenken auch bei den Zulassungsbehörden bedeuten“, betont Wolfgang Hiddemann. Denn es zeigt sich beispielsweise beim malignen Melanom, dass in 70 Prozent aller Fälle das BRAF-Gen überaktiviert ist. Erstmals wurde vor kurzem ein Medikament eingeführt, das auf BRAF abzielt und den Verlauf des schwarzen Hautkrebses positiv beeinflusst. Die neue Substanz ist auch bei Patienten mit Dickdarmkrebs in großen Studien getestet worden. Doch das Gesamtresultat enttäuschte, da nur 20 Prozent der Erkrankten die BRAF-Mutation tragen. Nach den Vorstellungen der Münchner Wissenschaftler erscheint es aber möglich, dass das Medikament trotzdem bei diesen 20 Prozent funktioniert. Die Suche nach gemeinsamen Mechanismen von Tumoren verschiedener Organe gehört zu einem der großen Ziele der LMU-Arbeitsgruppen.

Nicht nur infolge der Arbeit im Deutschen Konsortium für translationale Krebsforschung wird die Tumortherapie der Zukunft Schlüsselmoleküle in mehreren gestörten Signalwegen einer Krebszelle angreifen, soweit die Nebenwirkungen tolerabel sind. Doch auch andere Therapien bleiben unverzichtbar. Bei bestimmten seltenen Krebsarten, wie Sarkomen der Weichteile, etwa in den Armen oder Beinen, wird eine Methode helfen, die eine Arbeitsgruppe der LMU entwickelt hat und deren Effektivität jüngst in einer großen multizentrischen Studie nachgewiesen wurde – ein ideales Beispiel für translationale Forschung. Bei der Regionalen Hyperthermie (RHT) erhitzen die Mediziner die Tumorzellen auf bis zu 43 Grad Celsius, um sie über bestimmte molekulare Prozesse besser für eine Chemotherpaie zugänglich zu machen. In der Studie unterzog sich eine Hälfte der Patienten einer Chemotherapie, die andere einer Chemotherapie plus RHT. Nach einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 34 Monaten zeigte sich: Die kombiniert Behandelten lebten deutlich länger als die Patienten mit alleiniger Chemotherapie. Die Behandlung mit der RHT soll nun optimiert und für andere Tumorarten weiter entwickelt werden.

Quelle: Jahresbericht 2010 (Text und Bildnachweis)