Medizinische Fakultät
print

Links und Funktionen
Sprachumschaltung

Navigationspfad


Inhaltsbereich

EU-Netzwerk Nebenniere

beuschlein Professor Dr. Felix Beuschlein
Leiter der Endokrinologischen Forschung

Seltene Krankheiten haben nur ein Gutes: dass sie kaum vorkommen. Die Kehrseite: Gerade deshalb sind sie kaum erforscht und die therapeutischen Möglichkeiten infolgedessen begrenzt, was für die wenigen Patienten entsprechend fatal ist. Auch Tumoren der Nebennieren zählen zu jenen raren Erkrankungen, um die sich allenfalls ein paar Dutzend Forschergruppen weltweit kümmern – zum Beispiel das Team um Prof. Felix Beuschlein vom Klinikum der Universität München. Der Arzt leitet die Endokrinologische Forschung an der Medizinischen Klinik und Poliklinik IV und koordiniert ein 2011 gegründetes und mit sechs Millionen Euro finanziertes Konsortium, das ausschließlich die bösartigen Varianten dieser Tumoren beleuchtet. „Wir haben eine lange Forschungsagenda“, skizziert der Endokrinologe die Pläne für die kommenden Jahre, „und eine therapeutische Vision.“

Hervorgegangen ist ENSAT-Cancer, so die offizielle Bezeichnung des Konsortiums, aus einem schon länger bestehenden Netzwerk von Wissenschaftlern an internationalen Universitätskliniken, das das Wissen auch um gutartige Tumoren der Nebennieren verbessern will. Nicht bösartig sind meist die so genannten Aldosteron produzierenden Tumoren, die, auf eine Münchner Initiative hin, in einem nationalen Register erfasst werden. Ebenfalls meist gutartig ist eine Gruppe von Geschwulsten, die nicht mit einer erhöhten Hormonbildung einhergehen und die oft zufällig bei einer Computer-Tomografie des Bauchraums auffallen. „Allerdings wissen wir in diesen Fällen häufig nicht, ob diese Tumoren nicht vielleicht doch maligne werden“, skizziert Prof. Beuschlein das Dilemma, vor dem die Ärzte unter Umständen stehen.

"In ersten Studien haben wir das Tumorwachstum gebremst"

Ähnlich sieht es bei den Phäochromozytomen aus, die im Nebennierenmark entstehen und zur massiven Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin führen. Dieser Krebs ist oft genetisch bedingt. „Über ein Drittel der Fälle beruht auf vererbten Mutationen“, betont der Endokrinologe. Etliche dieser Mutationen sind inzwischen bekannt. So waren die LMU-Forscher jüngst an der Charakterisierung einer Mutation des MAX-Gens beteiligt. Zu klären bleibt, welche erblichen Veränderungen eher gut- und welche eher bösartige Phäochromozytome verursachen. Dies zu wissen, hätte unmittelbare Folgen für die Betreuung der Patienten.

Grundsätzlich bösartig hingegen verläuft das Nebennierenkarzinom (NNK). Meist haben die Patienten schon Metastasen, wenn der Krebs entdeckt wird. Therapeutisch bieten sich kaum Optionen. Auf der Suche nach neuen Behandlungen braucht es ein Modell, mit dem sich potenzielle Medikamente möglichst realistisch testen lassen. In diesem Sinne haben die LMU-Wissenschaftler spezielle Mäuse geschaffen, in die sie frisch entnommenes Tumorgewebe aus Patienten transplantieren. Mittels der Nager können die Forscher nun testen, welche Substanzen auf die humanen Tumoren ansprechen und welche nicht. „Das Modell funktioniert“, erklärt Felix Beuschlein. Nach den jüngsten Ergebnissen spiegelt es tatsächlich, „sehr gut die Eigenschaften wider, die im Patienten existiert haben zum Zeitpunkt der Tumorentnahme.“ Und es ist hoch individualisiert, also auf jeden einzelnen Patienten bezogen.

"So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe"

Das System „wartet“ jetzt auf die ersten Medikamentenkandidaten, die in der vorklinischen Entwicklungsphase stecken. Zusammen mit Kollegen der Universität Freiburg arbeiten die LMU-Wissenschaftler beispielsweise daran, das gängige Chemotherapeutikum Doxorubicin zielsicher in Nebennierenkarzinom-Gewebe zu verfrachten, um den Effekt zu optimieren und die Nebenwirkungen zu minimieren. Zu diesem Zwecke wurde das Präparat in kleine fettartige Kügelchen (Liposomen) gepackt, deren äußere Hülle speziell bearbeitet ist. An ihr hängt ein besonderer Antikörper, der zielsicher eine Struktur ansteuert, die vor allem im Krebsgewebe produziert wird. An diesen “insulinähnlichen Wachstumsfaktor 1“ angedockt, geben die Liposomen ihren Inhalt ab. Zudem blockiert der Antikörper den avisierten Rezeptor und dessen Funktion, die wichtig ist für die Vermehrung der Tumorzellen. „So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe“, erklärt Prof. Beuschlein, „in ersten Studien haben wir damit das Tumorwachstum gebremst.“ Nun ist geplant, die Therapie im individualisierten Maus-Modell zu testen.

bild2

In einem für das NNK gänzlich neuen Ansatz wollen die Wissenschaftler jene molekularen Signalkaskaden unterbrechen, die das Wachstum der Geschwulst regulieren. Im Visier haben sie etwa das Protein Beta-Catenin. Mit Hilfe einer neuen genetischen Methode haben sie in den Mäusen die Produktion des Moleküls verhindert, worauf die Krebszellen im Tierversuch ihr Wachstum stoppten. Jetzt steht die Lösung des nächsten Problems an: das genetische Verfahren im lebenden Organismus so anzuwenden, dass es ausschließlich im Tumorgewebe wirkt und nicht womöglich in gesunden Zellen Schaden anrichtet. Das soll mit Hilfe von Polymeren geschehen, die ins Blut gespritzt werden. „Gelingt uns das, haben wir hier eine vielversprechende Möglichkeit“, erklärt Prof. Beuschlein.

Ähnlich gut funktioniert ein dritter Ansatz der LMU-Forscher im Tierversuch. Dabei nutzen sie aus, dass den NNK-Zellen vieler Patienten zwei Proteine fehlen: BMP-2 und BMP-5. In diesen Fällen schreitet die Krankheit schneller voran als in Patienten, deren Tumorzellen die beiden Moleküle noch herstellen können. „Gibt man den Krebszellen die beiden Proteine zurück, wachsen sie langsamer“, resümiert der Endokrinologe die Resultate jüngster Tierversuche. Möglicherweise aktivieren die Proteine das Immunsystem. Allerdings müssen die Wissenschaftler auch hier noch klären, wie die Proteine ausschließlich oder vorwiegend in Tumorgewebe verfrachtet werden können, um die Gefahr möglicher Nebenwirkungen zu senken.

Sollten die Projekte der LMU-Wissenschaftler heranreifen, stünden in einigen Jahren klinische Studien an. Dann würde sich auszahlen, dass das internationale Netzwerk ein Patientenregister geschaffen hat, das mit jedem Jahr weiter wächst. Darin sind die Krankheitsverläufe von derzeit rund 2.500 Patienten mit Nebennierentumoren detailliert dokumentiert. „Über das Register finden wir auch bei seltenen Erkrankungen relativ schnell genug Patienten, um eine Studie auf die Beine zu stellen, die auch aussagekräftige Ergebnisse liefert“, unterstreicht Prof. Beuschlein. Das hat jüngst eine Studie bewiesen, in der erstmals ein Cocktail von Chemotherapeutika gegen das Nebennierenkarzinom geprüft wurde. So können die Mediziner den Patienten zukünftig erstmals eine Standardbehandlung anbieten.

Quelle: Jahresbericht 2011 (Text und Bildnachweis)